von P.N.
Dem spontanen Bewusstsein drängt sich jedes gesprochene Wort unmittelbar als Begriff auf. Es nimmt den analytischen Widerspruch zwischen lautlicher und inhaltlicher Komponente des Wortes als Zeichen nicht wahr. Spontan sieht man über den Widerspruch hinweg, weil man auf kürzestem Wege über den Inhalt zum Begriff strebt. Die lautlichen Beschaffenheiten der Wörter selbst sind bloße Worthülsen, deren Gesetzlichkeiten logisch unzugänglich in den tiefsten Tiefen des Sprachzentrums im Gehirn verborgen bleiben. Und selbst die Gesetze, die aus der Beliebigkeit der lautlichen Möglichkeiten, erst das Gerüst zur inhaltlichen Bestimmung erschaffen, zielen auf den Transport der Begriffe ab. Anders gesagt, ist es nicht das Wort, das den Begriff prägt, sondern andersrum: der Begriff schafft sich seinen tönenden Luftstrom, sucht sich sein Wort, setzt seinen Satz. Das nochmals Gewendete heißt Schnappatmung.
Ist Schnappatmung nicht rein körperlich, sondern auch geistig, intellektuell angelegt, so erwähnt man mit ihr oft auch Political Correctness, Gendersensibilität, Diversität und Inklusion und erweitert sie ganz praktisch zu Cancel Culture. Die schon erwähnten moralischen Gesinnungsinstanzen der Cancel Culture haben die Hervorhebung einzelner Wortzeichen bzw. teilweise sogar einzelner Wortbestandteile gegenüber dem Begriff zu seinem wesentlichen Bestandteil, ja zu seiner Voraussetzung. Der Begriff, der sich ja überhaupt erst aus dem Zusammenspiel vieler dieser Wortzeichen ergibt, erschließt sich der Cancel Culture und ihren Vertretern selbst überhaupt nicht, muss er auch nicht. Cancel Culture kommt wie jede Zensur ohne den Begriff aus, im Gegenteil, ihr Ziel ist es ja den Begriff nachgerade zu vernichten. Wenn sich aber ein Begriff erst einmal ins Fleisch gefressen hat, dann findet er immer neue Worte. Andererseits gelingt es der Zensur bei der Suche nach neuen Worten Irrpfade zu legen, sodass der Begriff selbst zumindest vorübergehend löchrig und porös wird.
Nehmen wir zunächst einen politisch scheinbar unbedeutenden Begriff: Krüppel. Das Wort ist schon recht veraltet. Wahrscheinlich wissen viele gar nicht mehr, was es bedeutet. Wer also keinen Begriff von dem Wort hat, schlage beispielsweise auf Wikipedia nach. Vorsichtig, verschämt wird da erwähnt, dass sich das Wort „bis ins 20. Jahrhundert“, „noch bis in die Zeit des Nationalsozialismus“ „wertneutral“ in verschiedenen anderen Begriffen, Nominalkomposita werden im Anschluss aufgezählt, wiederfindet. Das kann wohl nur bedeuten, dass bis dahin das Wort selbst ebenfalls, wenn auch nicht ausschließlich, wertneutrale Verwendung fand. Natürlich wurde es auch als Schimpf- und Schandwort verwendet und wurde dann wohl mit guter Absicht zu „Versehrter“ oder „Behinderter“ oder „Person/Mensch mit besonderen Bedürfnissen“, wonebenbei letzterer Euphemismus den Schreiber stets an adelige oder sonstwie abartig, kaprizierte Leute denken lässt. Aber egal, es ist ja tatsächlich nicht angemessen immer und ewig von Krüppeln zu sprechen. Nur ändert es gar nichts, wenn stattdessen von Behinderten oder Versehrten etc. die Rede ist, weil ja diese Synonyme alle nur einen, dazu recht äußerlichen Aspekt einer oder mehrerer Personen begrifflich erfassen, man sich also von den Personen selbst absolut keinen Begriff macht bzw. nichts weiter über die besprochenen Personen aussagt. Das ist mehr als moralisch verwerflich vielmehr engstirnig und dumm. Man muss aber sehr wohl davon sprechen und dagegen protestieren, dass die US- und die Bandera-Faschisten heute in der Ukraine Krüppel schlagen lassen wie zu weilands Zeiten Kirche, Kaiser und König die Ritter. Kleiner Tipp für alle, die jetzt nicht wissen, wie man Menschen mit körperlichen Besonderheiten, also Freaks, wie ja einige auch sagen, ansprechen oder über sie berichten kann: Fragen Sie nach den Namen! Das hat selbst bei Joseph Goebbels geholfen.
„Saujud“ ist da schon ganz etwas anderes. Abgesehen davon, dass der Schreiber dieser Zeilen jetzt als Antisemit identifiziert ist, weil er das Wort in seiner lautlichen Entsprechung buchstabengetreu einfach so hinschreibt, will man die inhaltlich-begriffliche Dimension, die sich ja eben nicht allein aus dem Wort, sondern aus dem Zusammenhang des Geschriebenen ergeben muss, gar nicht kennen. Nein, wenn einer sowas sagt oder schreibt, braucht er nicht weiterzureden oder weiterzuschreiben. Maulkorb und Presseverbot! Der ist rechts, mindestens so rechts wie die ganze israelische Regierung, wenn sie vollzählig ist. Jetzt hör mir doch aber auf! Gar nicht mehr weiterlesen!
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Sind Sie wieder da, geneigter Leser? Wie schon erwähnt, „Saujud“ ist schon ganz etwas anderes. Das Wort ist nämlich gar keinem anderen Impuls geschuldet, als zu beleidigen, zu verachten. Es ist vom Begriff her schon reines Schimpf- und Schmähwort. Tatsächlich ist es ja von den Einzelbegrifflichkeiten her ein sich selbst widersprechendes Kompositum, auch darum dumm und eben gar keine Begriffsbildung. Wenn Sie also diese gähnende Leere verstehen, die dieses Kompositum so allumfassend bildet, dann brauchen Sie keinen Maulkorb, kein Redeverbot, keine Cancel Culture, damit Sie das Wort erst gar nicht mehr gebrauchen. Ich werde mich in Zukunft auch daran halten!
Kommen wir nun einmal zu einem positiven Beispiel: Positiv in dem Sinne, dass die Cancel Culture in diesem Falle kein Verbot über die Phrase verhängt, sondern sich umgekehrt mit der ununterbrochenen Verwendung der Phrase ein Gebot auszudrücken scheint. „Es braucht …“ „Was es jetzt braucht ist, …“ Kennen Sie die Phrase aus Politik und Medien? Kann sich vielleicht auch noch einer erinnern, wir sind schon in dem Alter, als man sich noch mit dem freudianischen „Es drängt“, „Es treibt“ auseinandergesetzt hat? Das Triebhafte von unten drängend, unheimlich, aber auch ad hoc treibend. Das Ich war ihm oft gar nicht gewachsen. Es, das Ich, brauchte zuweilen das Über-Ich, um das Es bändigen zu können. Dabei hieß es, wo Es ist, soll Ich werden, aber das war wohl mehr das freudianische Über-Ich, das da verheißungsvoll gesprochen hat. Wo Es war, hat sich das Über-Ich ganz rasch wieder durchgesetzt. Unterwegs ging den meisten das Ich verloren. Ein ganz wesentliches Verdienst der Arbeitssoziologie und -psychologie. „Aber was es heute braucht“ – ein Ausdruck, der tagein tagaus, landauf landab von Politik und Medien gebraucht wird. Was heißt das überhaupt. Früher hat man von Bedürftigen gesprochen, die etwas brauchen, also: Ich brauche oder er braucht oder wir brauchen. Als die Franzosen bei Marie Antoinette petitionierten, riefen sie da: „Es braucht Brot!“? Nein, sie riefen selbstverständlich: „Wir brauchen Brot!“ Die Antwort Marie Antoinettes ergäbe sonst keinen Sinn. Was ist es denn überhaupt, dem die Politiker hier Ausdruck verleihen? Das Es ist es nicht. Was heißt; „Es braucht …“? Warum heißt es nicht: „Ich brauche …“ oder „Wir brauchen …“? Was braucht hier? Das brauchen ist in dieser Verwendung wider alle gesunde Erwartung gar nicht bedarfs- oder bedürfnisorientiert, sondern in ganz anderem Sinne gebraucht. Wie die Aussage: „Das brauchst du nicht machen“ oder nach guter, alter Sprachschule: „Das brauchst du nicht zu machen“ bedeutet, dass der Angesprochene von etwas entbunden ist, also einer Verpflichtung nicht nachkommen muss, man also sagen könnte: „Das musst du nicht machen.“, so ist auch die Phrase „Es braucht ..“ der Ausdruck einer Verpflichtung, allerdings einer, die man unbedingt zu erfüllen hat. Die Volksvertreter sagen: „Es braucht …“ und das Volk versteht, wenn es richtig versteht: „Ihr müsst …“. Das also ist der positive Sinn, dieser sprachlichen Figur: es ist geboten. Der dialektische Trick besteht eben darin, dass das Volk den Zwang nicht bemerkt, aber dennoch danach handelt. Als wäre eine Freiheit, wird etwas so ausgedrückt, als wäre eine Einsicht in eine Notwendigkeit. Ideologie pur!
Apropos: Der Begriff Ideologie ist ja völlig aus der Mode. Heute sprechen die Leute vom Narrativ. Ideologie ist ja ein System von weltanschaulichen Begriffen, eine politische, soziale, religiöse etc. Theorie, die im historisch-materialistischen Kontext einer jeweiligen im Klassenkampf verstrickten Seite zuzurechnen ist. Da sich Klassenkampf heutzutage verbietet, „braucht es“, sprich: müssen oder sollen wir wenigstens auch den Begriff davon nicht verwenden und damit wir uns nicht so schwer tun schenkt die Bourgeoisie dem Volk, „braucht es“ das Wort Narrativ, welches zwar dem Begriff der Ideologie, oberflächlich gesehen, recht nahe kommt, aber doch starke Unschärfe hineinbringt. So weit, so klar nach Lyotard. Dabei umfasst Narrativ freilich erst einmal nicht allumfänglich den Begriff der Ideologie denn das Narrativ ist ja bloß die Erzählung einer gegebenen Gesellschaft zur Selbstrechtfertigung und Legitimation. Dagegen ist die Ideologie nicht bloß Erzählung, sondern System, in dem das Narrativ bloß ein Teilaspekt sein kann. Vielmehr kommt es ja nicht allein auf die Legitimation, sondern auch auf die noch zu entstehende zukünftige nicht nur Legitimation, sondern auch tatsächlich noch zu schaffende Realität an. So versteht sich Ideologie, egal wie realitätsfremd sie auch manchmal sein kann. Außerdem kennt das Narrativ der Gesellschaft keine Klassen, denn es handelt sich dabei ja um die gemeinsame Erzählung der Gesellschaft. Es ist nicht die Erzählung der Klassen. Es ist die von allen Klassen angenommene und von der herrschenden übernommene Erzählung der Gesellschaft, also ein korporatistisches Konzept. Dagegen ist die Ideologie, wie schon gesagt, historisch-materialistisch gefasst, Klassenideologie a priori. Nun erkennen wir freilich auch den Zweck der Ersetzung des alten Begriffs mit dem neuen Wort. Dabei soll sich noch zu allem Unglück die angeblich vorwurfsvolle Kritik des Historikers Dan Diner: „Die Massenvernichtung der europäischen Juden hat eine Statistik, kein Narrativ“, ganz gegenteilig und apologetisch ausgewirkt haben. Der Satz soll so oft diskutiert worden sein, sodass sich erst durch die häufige Zitierung der Ausdruck Narrativ überhaupt in Wissenschaftskreisen etabliert habe. Der Grund letzthin, dass sich der Ausdruck durchgesetzt hat, ist aber natürlich sein Zweck. Eine Erzählung, und nichts anderes soll das Narrativ sein, als die große Erzählung einer immer in ihrer Gesamtheit gedachten Gesellschaft, eine Erzählung wird immer im Nachhinein erzählt. So ist zum Beispiel der Postkolonialismus mitsamt seiner Kritik nur die Erzählung des Kolonialismus, der Imperialismus hingegen ist die Aufhebung des Kolonialismus in der Hegel’schen Bedeutung des Begriffs Aufhebung, also die Fortsetzung der Herrschaft über die abhängigen Länder auf erweiterter Stufenleiter. Während man sich postkolonialistisch also hauptsächlich mit der unaufgearbeiteten Reflexion des Kolonialismus aufhält, ist der Imperialismus mit Siebenmeilenstiefeln fortgeschritten zur alleraggressivsten, letztmöglichen Ausbeutung sämtlicher natürlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen. Und jetzt kleben Sie sich bitte fest!
Die ursprüngliche Stoßrichtung des von Lyotard geprägten Begriffs war die Kritik an den in gewisser Weise teleologischen Lehren des Immanuel Kant und des Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Kommunismus mit dem angestrebten Ziel der klassenlosen Gesellschaft á la Marx wurde in diese philosophische Reihenfolge mit aufgenommen und wurde natürlich mir nichts dir nichts zur großen Erzählung deklariert, wie Christentum und seitdem noch viele mehr. Wir sehen also die Stoßrichtung, in die das geht. Die Apologeten dieser philosophischen Ausrichtung, sind aber keineswegs anti-teleologisch, sie haben ihr Ziel sehr wohl vor Augen und arbeiten mit folgendem Trick: Wenn wir die Philosophien von Kant, Hegel und Marx als Narrative, als große Erzählungen deuten, dann nehmen wir ihnen ihr Telos, ihr Ziel, indem wir ja so tun, als ob die Philosophien bloße Geschichten seien, große, anspruchsvolle, heroische vielleicht, aber passé. Diese neuen Philosophen verlegen das Ziel der alten Philosophen ideologisch aber nur in die Vorzeit und tun halt so, als ob Marxens Bart (Geschichte!) inzwischen schon so lange (große Geschichte!) sei, dass er sich mit seinen Füßen selber draufsteige (schon wieder vorbei!). Sie setzen ihr eigenes Ziel durchaus dagegen. Damit glauben sie die alten Meister mit billigem Trick erledigen zu können. Dies ist der philosophische Teil, aber die Massen können damit sowieso nichts anfangen und die Politiker übersetzen den Begriff Narrativ sehr frei. Wenn es nach politologischer und medialer Verwendung des Begriffs geht, bezeichnet er eine beliebige Erzählung einer beliebigen Menge von Menschen, die man jeweils als Gesamtgesellschaft sehen und bezeichnen kann und die den sogenannten Fakten, welche immer das von der Politik und den Medien Gesetzte, Gemachte und Vorgemachte, Vorgegebene sind, entgegensteht. Die anderen bedienen sich zur Legitimation eines Narrativs, wir selber aber sind im Besitz (nicht der Wahrheit – wir sind ja Demokraten!), aber der Fakten. Die Fakten sind zu glauben, factum! Das Narrativ der anderen ist reine Propaganda. Und hier schließt sich nun der Kreis. Wir sahen wie das Wort Narrativ in den Begriff der Ideologie hineinschwimmt und hinten nach und nicht ohne Absicht in all seiner geschilderten Unschärfe im Begriff Propaganda endgültig verschwimmt.
Und nun noch ein letztes Wort, damit wir hier nicht so aus dem Artikel aussteigen und womöglich keine Reibefläche entsteht. Sie dürfen sich, liebe Leser, anschließend gerne entrüstet distanzieren! Ich will mich gar nicht auf die logische bzw. unlogische Nachvollziehbarkeit der ganzen Angelegenheit berufen, nicht auf die Erklärungen irgendwelcher Kommissionen, die ja doch nie und nimmer eine russische Mitschuld sachlich begründen werden und auch nicht auf den Herrn Seymour Hersh, der ja bereits als Verschwörungstheoretiker entlarvt ist. Nein, ich will ganz eigenständig Verschwörungstheoretiker sein und darum ganz ohne nähere Begründung und frei heraus, ohne irgendwelche Anhaltspunkte oder Hinweise möchte ich sagen: Ich glaube … Nein anders: Ich bin ganz sicher, ich weiß, Biden und Kumpane haben die Sprengung von Nord-Stream befohlen. Das hat es nämlich gebraucht. Und ich reihe mich voller Stolz ein zu den Verschwörungstheoretikern.
Nachsatz:
„Bei Gott, wenn ich das alles überdenke, dann erscheint mir jeder der heutigen Staaten nur als eine Verschwörung der Reichen, die unter dem Vorwand des Gemeinwohls ihren eigenen Vorteil verfolgen und mit allen Kniffen und Schlichen danach trachten, sich den Besitz dessen zu sichern, was sie unrecht erworben haben, und die Arbeit der Armen für so geringes Entgelt als möglich für sich zu erlangen und auszubeuten.“
Karl Kautsky
Modernes Vokabular verständlich, weil gar nicht viel zu begreifen
von P.N.
Dem spontanen Bewusstsein drängt sich jedes gesprochene Wort unmittelbar als Begriff auf. Es nimmt den analytischen Widerspruch zwischen lautlicher und inhaltlicher Komponente des Wortes als Zeichen nicht wahr. Spontan sieht man über den Widerspruch hinweg, weil man auf kürzestem Wege über den Inhalt zum Begriff strebt. Die lautlichen Beschaffenheiten der Wörter selbst sind bloße Worthülsen, deren Gesetzlichkeiten logisch unzugänglich in den tiefsten Tiefen des Sprachzentrums im Gehirn verborgen bleiben. Und selbst die Gesetze, die aus der Beliebigkeit der lautlichen Möglichkeiten, erst das Gerüst zur inhaltlichen Bestimmung erschaffen, zielen auf den Transport der Begriffe ab. Anders gesagt, ist es nicht das Wort, das den Begriff prägt, sondern andersrum: der Begriff schafft sich seinen tönenden Luftstrom, sucht sich sein Wort, setzt seinen Satz. Das nochmals Gewendete heißt Schnappatmung.
Ist Schnappatmung nicht rein körperlich, sondern auch geistig, intellektuell angelegt, so erwähnt man mit ihr oft auch Political Correctness, Gendersensibilität, Diversität und Inklusion und erweitert sie ganz praktisch zu Cancel Culture. Die schon erwähnten moralischen Gesinnungsinstanzen der Cancel Culture haben die Hervorhebung einzelner Wortzeichen bzw. teilweise sogar einzelner Wortbestandteile gegenüber dem Begriff zu seinem wesentlichen Bestandteil, ja zu seiner Voraussetzung. Der Begriff, der sich ja überhaupt erst aus dem Zusammenspiel vieler dieser Wortzeichen ergibt, erschließt sich der Cancel Culture und ihren Vertretern selbst überhaupt nicht, muss er auch nicht. Cancel Culture kommt wie jede Zensur ohne den Begriff aus, im Gegenteil, ihr Ziel ist es ja den Begriff nachgerade zu vernichten. Wenn sich aber ein Begriff erst einmal ins Fleisch gefressen hat, dann findet er immer neue Worte. Andererseits gelingt es der Zensur bei der Suche nach neuen Worten Irrpfade zu legen, sodass der Begriff selbst zumindest vorübergehend löchrig und porös wird.
Nehmen wir zunächst einen politisch scheinbar unbedeutenden Begriff: Krüppel. Das Wort ist schon recht veraltet. Wahrscheinlich wissen viele gar nicht mehr, was es bedeutet. Wer also keinen Begriff von dem Wort hat, schlage beispielsweise auf Wikipedia nach. Vorsichtig, verschämt wird da erwähnt, dass sich das Wort „bis ins 20. Jahrhundert“, „noch bis in die Zeit des Nationalsozialismus“ „wertneutral“ in verschiedenen anderen Begriffen, Nominalkomposita werden im Anschluss aufgezählt, wiederfindet. Das kann wohl nur bedeuten, dass bis dahin das Wort selbst ebenfalls, wenn auch nicht ausschließlich, wertneutrale Verwendung fand. Natürlich wurde es auch als Schimpf- und Schandwort verwendet und wurde dann wohl mit guter Absicht zu „Versehrter“ oder „Behinderter“ oder „Person/Mensch mit besonderen Bedürfnissen“, wonebenbei letzterer Euphemismus den Schreiber stets an adelige oder sonstwie abartig, kaprizierte Leute denken lässt. Aber egal, es ist ja tatsächlich nicht angemessen immer und ewig von Krüppeln zu sprechen. Nur ändert es gar nichts, wenn stattdessen von Behinderten oder Versehrten etc. die Rede ist, weil ja diese Synonyme alle nur einen, dazu recht äußerlichen Aspekt einer oder mehrerer Personen begrifflich erfassen, man sich also von den Personen selbst absolut keinen Begriff macht bzw. nichts weiter über die besprochenen Personen aussagt. Das ist mehr als moralisch verwerflich vielmehr engstirnig und dumm. Man muss aber sehr wohl davon sprechen und dagegen protestieren, dass die US- und die Bandera-Faschisten heute in der Ukraine Krüppel schlagen lassen wie zu weilands Zeiten Kirche, Kaiser und König die Ritter. Kleiner Tipp für alle, die jetzt nicht wissen, wie man Menschen mit körperlichen Besonderheiten, also Freaks, wie ja einige auch sagen, ansprechen oder über sie berichten kann: Fragen Sie nach den Namen! Das hat selbst bei Joseph Goebbels geholfen.
„Saujud“ ist da schon ganz etwas anderes. Abgesehen davon, dass der Schreiber dieser Zeilen jetzt als Antisemit identifiziert ist, weil er das Wort in seiner lautlichen Entsprechung buchstabengetreu einfach so hinschreibt, will man die inhaltlich-begriffliche Dimension, die sich ja eben nicht allein aus dem Wort, sondern aus dem Zusammenhang des Geschriebenen ergeben muss, gar nicht kennen. Nein, wenn einer sowas sagt oder schreibt, braucht er nicht weiterzureden oder weiterzuschreiben. Maulkorb und Presseverbot! Der ist rechts, mindestens so rechts wie die ganze israelische Regierung, wenn sie vollzählig ist. Jetzt hör mir doch aber auf! Gar nicht mehr weiterlesen!
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Sind Sie wieder da, geneigter Leser? Wie schon erwähnt, „Saujud“ ist schon ganz etwas anderes. Das Wort ist nämlich gar keinem anderen Impuls geschuldet, als zu beleidigen, zu verachten. Es ist vom Begriff her schon reines Schimpf- und Schmähwort. Tatsächlich ist es ja von den Einzelbegrifflichkeiten her ein sich selbst widersprechendes Kompositum, auch darum dumm und eben gar keine Begriffsbildung. Wenn Sie also diese gähnende Leere verstehen, die dieses Kompositum so allumfassend bildet, dann brauchen Sie keinen Maulkorb, kein Redeverbot, keine Cancel Culture, damit Sie das Wort erst gar nicht mehr gebrauchen. Ich werde mich in Zukunft auch daran halten!
Kommen wir nun einmal zu einem positiven Beispiel: Positiv in dem Sinne, dass die Cancel Culture in diesem Falle kein Verbot über die Phrase verhängt, sondern sich umgekehrt mit der ununterbrochenen Verwendung der Phrase ein Gebot auszudrücken scheint. „Es braucht …“ „Was es jetzt braucht ist, …“ Kennen Sie die Phrase aus Politik und Medien? Kann sich vielleicht auch noch einer erinnern, wir sind schon in dem Alter, als man sich noch mit dem freudianischen „Es drängt“, „Es treibt“ auseinandergesetzt hat? Das Triebhafte von unten drängend, unheimlich, aber auch ad hoc treibend. Das Ich war ihm oft gar nicht gewachsen. Es, das Ich, brauchte zuweilen das Über-Ich, um das Es bändigen zu können. Dabei hieß es, wo Es ist, soll Ich werden, aber das war wohl mehr das freudianische Über-Ich, das da verheißungsvoll gesprochen hat. Wo Es war, hat sich das Über-Ich ganz rasch wieder durchgesetzt. Unterwegs ging den meisten das Ich verloren. Ein ganz wesentliches Verdienst der Arbeitssoziologie und -psychologie. „Aber was es heute braucht“ – ein Ausdruck, der tagein tagaus, landauf landab von Politik und Medien gebraucht wird. Was heißt das überhaupt. Früher hat man von Bedürftigen gesprochen, die etwas brauchen, also: Ich brauche oder er braucht oder wir brauchen. Als die Franzosen bei Marie Antoinette petitionierten, riefen sie da: „Es braucht Brot!“? Nein, sie riefen selbstverständlich: „Wir brauchen Brot!“ Die Antwort Marie Antoinettes ergäbe sonst keinen Sinn. Was ist es denn überhaupt, dem die Politiker hier Ausdruck verleihen? Das Es ist es nicht. Was heißt; „Es braucht …“? Warum heißt es nicht: „Ich brauche …“ oder „Wir brauchen …“? Was braucht hier? Das brauchen ist in dieser Verwendung wider alle gesunde Erwartung gar nicht bedarfs- oder bedürfnisorientiert, sondern in ganz anderem Sinne gebraucht. Wie die Aussage: „Das brauchst du nicht machen“ oder nach guter, alter Sprachschule: „Das brauchst du nicht zu machen“ bedeutet, dass der Angesprochene von etwas entbunden ist, also einer Verpflichtung nicht nachkommen muss, man also sagen könnte: „Das musst du nicht machen.“, so ist auch die Phrase „Es braucht ..“ der Ausdruck einer Verpflichtung, allerdings einer, die man unbedingt zu erfüllen hat. Die Volksvertreter sagen: „Es braucht …“ und das Volk versteht, wenn es richtig versteht: „Ihr müsst …“. Das also ist der positive Sinn, dieser sprachlichen Figur: es ist geboten. Der dialektische Trick besteht eben darin, dass das Volk den Zwang nicht bemerkt, aber dennoch danach handelt. Als wäre eine Freiheit, wird etwas so ausgedrückt, als wäre eine Einsicht in eine Notwendigkeit. Ideologie pur!
Apropos: Der Begriff Ideologie ist ja völlig aus der Mode. Heute sprechen die Leute vom Narrativ. Ideologie ist ja ein System von weltanschaulichen Begriffen, eine politische, soziale, religiöse etc. Theorie, die im historisch-materialistischen Kontext einer jeweiligen im Klassenkampf verstrickten Seite zuzurechnen ist. Da sich Klassenkampf heutzutage verbietet, „braucht es“, sprich: müssen oder sollen wir wenigstens auch den Begriff davon nicht verwenden und damit wir uns nicht so schwer tun schenkt die Bourgeoisie dem Volk, „braucht es“ das Wort Narrativ, welches zwar dem Begriff der Ideologie, oberflächlich gesehen, recht nahe kommt, aber doch starke Unschärfe hineinbringt. So weit, so klar nach Lyotard. Dabei umfasst Narrativ freilich erst einmal nicht allumfänglich den Begriff der Ideologie denn das Narrativ ist ja bloß die Erzählung einer gegebenen Gesellschaft zur Selbstrechtfertigung und Legitimation. Dagegen ist die Ideologie nicht bloß Erzählung, sondern System, in dem das Narrativ bloß ein Teilaspekt sein kann. Vielmehr kommt es ja nicht allein auf die Legitimation, sondern auch auf die noch zu entstehende zukünftige nicht nur Legitimation, sondern auch tatsächlich noch zu schaffende Realität an. So versteht sich Ideologie, egal wie realitätsfremd sie auch manchmal sein kann. Außerdem kennt das Narrativ der Gesellschaft keine Klassen, denn es handelt sich dabei ja um die gemeinsame Erzählung der Gesellschaft. Es ist nicht die Erzählung der Klassen. Es ist die von allen Klassen angenommene und von der herrschenden übernommene Erzählung der Gesellschaft, also ein korporatistisches Konzept. Dagegen ist die Ideologie, wie schon gesagt, historisch-materialistisch gefasst, Klassenideologie a priori. Nun erkennen wir freilich auch den Zweck der Ersetzung des alten Begriffs mit dem neuen Wort. Dabei soll sich noch zu allem Unglück die angeblich vorwurfsvolle Kritik des Historikers Dan Diner: „Die Massenvernichtung der europäischen Juden hat eine Statistik, kein Narrativ“, ganz gegenteilig und apologetisch ausgewirkt haben. Der Satz soll so oft diskutiert worden sein, sodass sich erst durch die häufige Zitierung der Ausdruck Narrativ überhaupt in Wissenschaftskreisen etabliert habe. Der Grund letzthin, dass sich der Ausdruck durchgesetzt hat, ist aber natürlich sein Zweck. Eine Erzählung, und nichts anderes soll das Narrativ sein, als die große Erzählung einer immer in ihrer Gesamtheit gedachten Gesellschaft, eine Erzählung wird immer im Nachhinein erzählt. So ist zum Beispiel der Postkolonialismus mitsamt seiner Kritik nur die Erzählung des Kolonialismus, der Imperialismus hingegen ist die Aufhebung des Kolonialismus in der Hegel’schen Bedeutung des Begriffs Aufhebung, also die Fortsetzung der Herrschaft über die abhängigen Länder auf erweiterter Stufenleiter. Während man sich postkolonialistisch also hauptsächlich mit der unaufgearbeiteten Reflexion des Kolonialismus aufhält, ist der Imperialismus mit Siebenmeilenstiefeln fortgeschritten zur alleraggressivsten, letztmöglichen Ausbeutung sämtlicher natürlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen. Und jetzt kleben Sie sich bitte fest!
Die ursprüngliche Stoßrichtung des von Lyotard geprägten Begriffs war die Kritik an den in gewisser Weise teleologischen Lehren des Immanuel Kant und des Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der Kommunismus mit dem angestrebten Ziel der klassenlosen Gesellschaft á la Marx wurde in diese philosophische Reihenfolge mit aufgenommen und wurde natürlich mir nichts dir nichts zur großen Erzählung deklariert, wie Christentum und seitdem noch viele mehr. Wir sehen also die Stoßrichtung, in die das geht. Die Apologeten dieser philosophischen Ausrichtung, sind aber keineswegs anti-teleologisch, sie haben ihr Ziel sehr wohl vor Augen und arbeiten mit folgendem Trick: Wenn wir die Philosophien von Kant, Hegel und Marx als Narrative, als große Erzählungen deuten, dann nehmen wir ihnen ihr Telos, ihr Ziel, indem wir ja so tun, als ob die Philosophien bloße Geschichten seien, große, anspruchsvolle, heroische vielleicht, aber passé. Diese neuen Philosophen verlegen das Ziel der alten Philosophen ideologisch aber nur in die Vorzeit und tun halt so, als ob Marxens Bart (Geschichte!) inzwischen schon so lange (große Geschichte!) sei, dass er sich mit seinen Füßen selber draufsteige (schon wieder vorbei!). Sie setzen ihr eigenes Ziel durchaus dagegen. Damit glauben sie die alten Meister mit billigem Trick erledigen zu können. Dies ist der philosophische Teil, aber die Massen können damit sowieso nichts anfangen und die Politiker übersetzen den Begriff Narrativ sehr frei. Wenn es nach politologischer und medialer Verwendung des Begriffs geht, bezeichnet er eine beliebige Erzählung einer beliebigen Menge von Menschen, die man jeweils als Gesamtgesellschaft sehen und bezeichnen kann und die den sogenannten Fakten, welche immer das von der Politik und den Medien Gesetzte, Gemachte und Vorgemachte, Vorgegebene sind, entgegensteht. Die anderen bedienen sich zur Legitimation eines Narrativs, wir selber aber sind im Besitz (nicht der Wahrheit – wir sind ja Demokraten!), aber der Fakten. Die Fakten sind zu glauben, factum! Das Narrativ der anderen ist reine Propaganda. Und hier schließt sich nun der Kreis. Wir sahen wie das Wort Narrativ in den Begriff der Ideologie hineinschwimmt und hinten nach und nicht ohne Absicht in all seiner geschilderten Unschärfe im Begriff Propaganda endgültig verschwimmt.
Und nun noch ein letztes Wort, damit wir hier nicht so aus dem Artikel aussteigen und womöglich keine Reibefläche entsteht. Sie dürfen sich, liebe Leser, anschließend gerne entrüstet distanzieren! Ich will mich gar nicht auf die logische bzw. unlogische Nachvollziehbarkeit der ganzen Angelegenheit berufen, nicht auf die Erklärungen irgendwelcher Kommissionen, die ja doch nie und nimmer eine russische Mitschuld sachlich begründen werden und auch nicht auf den Herrn Seymour Hersh, der ja bereits als Verschwörungstheoretiker entlarvt ist. Nein, ich will ganz eigenständig Verschwörungstheoretiker sein und darum ganz ohne nähere Begründung und frei heraus, ohne irgendwelche Anhaltspunkte oder Hinweise möchte ich sagen: Ich glaube … Nein anders: Ich bin ganz sicher, ich weiß, Biden und Kumpane haben die Sprengung von Nord-Stream befohlen. Das hat es nämlich gebraucht. Und ich reihe mich voller Stolz ein zu den Verschwörungstheoretikern.
Nachsatz:
„Bei Gott, wenn ich das alles überdenke, dann erscheint mir jeder der heutigen Staaten nur als eine Verschwörung der Reichen, die unter dem Vorwand des Gemeinwohls ihren eigenen Vorteil verfolgen und mit allen Kniffen und Schlichen danach trachten, sich den Besitz dessen zu sichern, was sie unrecht erworben haben, und die Arbeit der Armen für so geringes Entgelt als möglich für sich zu erlangen und auszubeuten.“
Karl Kautsky